Die Herstellung des Tequilas ist eine eigene kleine Geheimwissenschaft. Helga Bader war kreuz und quer in Mexiko auf Tour, um uns einen Blick hinter die Kulissen dieser Spirituosen-Alchemie zu ermöglichen.
Die Sonne steht tief und rot am Himmel, als sich der Reisebus meinem Ziel Guadalajara nähert. Die Stadt im Westen Mexikos ist bekannt für Marichi-Musik und Tortas Ahogadas, berühmt ist sie jedoch für das Nationalgetränk Tequila.
Die blaue Agave, aus der die Spirituose gewonnen wird, gedeiht in den Bundesstaaten rund um Jalisco. Zur Herstellung echten Tequilas müssen die Rohstoffe allerdings aus der herkunftsgeschützten Region im Hochplateau rund um Guadalajara und dem namensgebenden Ort Tequila stammen. Auch aus vielen anderen in Mexiko vorkommenden Agavenarten werden alkoholische Getränke erzeugt, wie etwa verschiedenste Mezcal-Variationen oder die mostartig fermentierte Pulque, ein in den Bergregionen sehr beliebtes Gebräu. Doch nur die blaue Agave darf sich damit rühmen, Rohstoff eines jeden Tequilas zu sein (der genaugenommen eine Abwandlung des Agavenschnapes ist). Weitere Verwendungen finden sich auch in der Herstellung von Agavensirup und zur Inulinproduktion.
Die Pflanze an sich, botanisch gesehen zu den Spargelartigen gehörend, ist sehr genügsam und gedeiht ohne Düngung oder zusätzliche Bewässerung. Nach rund acht Jahren kann sie dann für die Tequilaproduktion geerntet werden. Die Bei- und Unkrautjätung erfolgt händisch, beziehungsweise werden Nutztiere dafür eingesetzt. So kann man auf den Agavenfeldern immer wieder gemächlich grasende Büffel zwischen den Pflanzen erspähen. Diese Sukkulenten sind in der Pflege recht anspruchslos. Trotzdem ist die Qualität des Endprodukts von Ertrag und Güte der Ursprungspflanze abhängig, wie eben bei allen auf natürlichen Rohstoffen beruhenden Erzeugnissen. Deshalb gibt es auch bei Tequila jahrgangsspezifische Schwankungen.
Ein paar Tage später besuche ich eine kleine Destillerie im Ort Amatitán, wo das mexikanische Kultgetränk noch auf traditionelle Weise komplett in Handarbeit hergestellt wird. Für diejenigen Touristen, die Tequila als inszeniertes Erlebnis zelebrieren wollen, gibt es die Möglichkeit, am Wochenende die Tequila-Route mit einem eigens dafür vorgesehenen Zug zu befahren. Nach einer Reihe von Besichtigungen inklusive Verköstigungen bietet sich eine Heimfahrt per Bahn geradezu an.
Ein Tequila darf sich auch dann als solcher bezeichnen, wenn nicht nur Zucker der Agave enthalten ist, sondern auch eine Beimischung von bis zu 49 Prozent Fremdzucker. Bei diesem preisgünstigen Mixtequila darf die Abfüllung außerhalb Mexikos stattfinden. Im von mir besichtigten Betrieb besteht das Produkt selbstverständlich aus 100 Prozent unverdünnter blauer Agave, und auch sonst wird mich die Fabrik hundertprozentig überzeugen.
Nach einer etwa halbstündigen Autofahrt ab Guadalajara ändert sich die Vegetation merklich – türkisblau pastellene Teppiche von Agavenfeldern dominieren die Landschaft. Eine Destillerie reiht sich an die nächste, als der PKW in einen von Agaven gesäumten Feldweg einbiegt und sich am Horizont das alte weiße Fabrikationsgebäude vor einer sanften Bergkulisse abzeichnet. Ich bin beeindruckt von der samtig monoton wirkenden Weite. Nach kurzer Fahrzeit zwischen ein- bis dreijährigen Pflanzen erreichen wir eine niedrige Steinmauer, auf der sich sowohl kleinere als auch monströs große Echsen sonnen. Dahinter liegen Agaventriebe bereit, eine neue Kultur zu begründen. Die reifen Agavenherzen, die in Ihrer Form an eine Ananas erinnern, können je nach Art und Höhenlage unterschiedliche Dimensionen annehmen, beginnend mit 30-Kilo-Piñas in den tieferen Lagen bis zu über 80 Kilo im Hochland. Mir wird ein Foto einer Piña gezeigt, die weit mehr als 120 Kilo wiegt und einen immensen Durchmesser aufweist. Es handelt sich um eine für einen Mezcal verwendete Art, von der die Frucht erst nach 25-jähriger Verweildauer in der Erde geerntet und verwendet wird.
Hier werden drei Klassen von Tequila hergestellt: der klare Tequila Blanco bzw. Silver und zwei nach der Destillierung in Eichenholz-Fässern gelagerte und gereifte Typen. Ein Reposado lagert drei bis acht Monate und ein Añejo muss mehr als ein Jahr reifen. Jedes Fass wird offiziell von der Kontrollbehörde Consejo Regulator de Tequila(CRT) versiegelt und dokumentiert. Nicht nur die Verplombung der Fässer, auch der gesamte landwirtschaftliche Prozess sowie Produktion und Export unterliegen strikten Reglementierungen und Überprüfungen. Eine qualitätsvolle Tequila-Herstellung ist den Mexikanern eine ernste Angelegenheit! Die Arbeitsatmosphäre hier am Vormittag ist dafür umso entspannter. Ich treffe gerade rechtzeitig zur Abfüllung eines Reposados in der Fabrik ein und bekomme auch prompt eine Kostprobe in die Hand gedrückt. Der runde, leicht süßliche Geschmack des bernsteinfarbenen Getränks hat so gar keine Ähnlichkeit mit den in Österreich beliebten, aber doch recht scheußlichen Tequila-Shots, dennoch bin ich froh, gut gefrühstückt zu haben, um diesen Digestif zu genießen.
Weiter geht‘s zu den gemauerten Öfen, in denen der erste von drei Schritten nach der Ernte stattfindet, was für eine gute Qualität am besten zur Trockenzeit geschieht, jedoch auch ganzjährig möglich ist. Das Herzstück der Agave, die Piña (= Ananas), wird durch Wegschneiden der Blätter freigelegt und in den Öfen unter Dampf bis zu zwei Tage gegart. So wird der Zuckeranteil freigesetzt beziehungsweise die enthaltene Stärke in Einfachzucker umgewandelt. Danach werden die abgekühlten, gekochten Früchte zerkleinert und der Saft ausgepresst. Agaven-Sirup wird mit diesem Schritt gewonnen.
Die nächste Station ist die Destillationshalle, wo erst die Gärung stattfindet und der Honigsaft für den jungen Tequila etwa drei Tage lang fermentiert wird. Blankpolierte Metalltanks in unterschiedlichen Größen schimmern unter den in Mexiko typischen Papel-picado-Girlanden. In zwei, selten auch drei Destillationsstufen wird in den Alambique-Kesseln hochwertiger Premium Tequila hergestellt. Wobei man den eigentlichen Tequila erst durch die zweite Destillation erhält, welcher dann im Alkoholgehalt auf Trinkstärke reduziert und als Blanco abgefüllt wird oder seinen Weg zur Veredelung im Fass findet. Zum Alkoholgehalt ist zu bemerken, dass es die US-Amerikaner mit 40 gegenüber 38 Volumsprozent für den europäischen Markt scheinbar hochprozentiger mögen.
Von den glänzenden Edelstahltanks weg führt uns der Weg zu den dunklen Kellergewölben. Hier ruhen die von der CRT etikettierten und versiegelten Eichenfässer einträchtig nebeneinander. Während ich mit meinem persönlichem Guide Caesar durch die Dunkelheit stolpere, erklärt er mir, dass die Fässer bis zu sieben Mal wiederverwendet werden und jedes Mal zwischendurch ausgebrannt werden. Nach einer Kurve stehen wir vor einer Bar mitten im Keller, wo eine junge Mexikanerin darauf wartet, Besucherinnen wie mir Cantaritos zu mixen. Diesen Cocktail kenne ich als 1-Liter-Version vom Vorabend und denke mir, die kleinere Halblitervariante ist auch am Vormittag schaffbar. Gefühlte zwei Stunden später habe ich den mit Eiswürfeln gekühlten Drink im Tonkrug mit der ordentlichen Mischung aus gepresstem Limetten-, Orangen- und Blutorangensaft, Salz, einer speziellen Limonade und zwei ziemlich großen Schnapsgläsern mit Tequila endlich geleert und freue mich auf eine Siesta.
Beim Verlassen der Kellertresore fällt mein Blick auf eine kleine Kapelle, die am Fabriksgelände steht. Die sei auch für Hochzeiten zu buchen, wird mir erzählt. Ein witziges Detail im Inneren: Die Bänke sind aus eben den Fässern gefertigt, in denen sonst Tequila altert und reift. Auf meine Frage, ob das nicht als blasphemisch angesehen wird, bekomme ich die Antwort, Jesus habe schließlich auch Wasser zu Wein verwandelt. So ist das mit dem bekanntesten Import- und Exportprodukt, der schon bei den Azteken als Gottestrank galt: Den Mexikanern ist und bleibt ihr Tequila heilig.