Claus Peymans Inszenierung von Ionescos Die Stühle ist ein Publikumserfolg: Seit der Premiere ist sie bis auf zwei Monate im Voraus ausverkauft. Liegt dies vielleicht am wachsenden Interesse für das Theater des Absurden und den poetisch-philosophischen Diskurs? Etwa an der Zeitlosigkeit existenzialistischer Fragestellungen? Nein, es rührt wohl vielmehr daher, dass Ionesco als Komödie auf die Bühne kommt, bei der man sich vor Lachen den Bauch halten muss.
Claus Peyman; Foto von Georg Soulek
Autoritätsargumente
Es muss gesagt sein, dass Claus Peyman eine lebende Theaterlegende ist und die Darsteller jener Inszenierung am besten Weg dazu sind: Maria Happl und Michael Maertens spielen ein Ehepaar über 90 und Mavi Hörbiger „den Leser“. Auch das Stück ist ziemlich prominent: Ionesco gilt neben Beckett als bedeutendster Dramatiker des absurden Theaters und Die Stühle als sein wichtigstes Werk. Es handelt von einem alten Ehepaar, welches kurz davor ist, abzutreten. Der Mann hat die Erkenntnisse seines Lebens zu Papier gebracht und die ganze gehobene Gesellschaft des Landes zu einer Lesung eingeladen. „Nach mir wird mindestens eine Straße benannt“ freut er sich. Jemand klingelt an der Tür, wird hereingebeten und in ein Gespräch verwickelt. Zu sehen ist allerdings niemand: das Ehepaar spricht ins Leere. Dies wird sich nun ein paar zig Male wiederholen, bis die ganze Bühne voller Stühle und unsichtbarer Gäste ist. Nun soll die Abschiedszeremonie wirklich losgehen: Ein Leser (aus Fleisch und Blut) kommt auf die Bühne um das Skript des Mannes vorzutragen. Vor lauter Vorfreude stürzen sich Mann und Frau in den Tod, noch ehe sich der Leser als taubstumm entpuppt hat. So steht dieser zum Schluss vor leeren Stühlen und das einzige Verständliche, das er der nicht vorhandenen Menschenmasse über das Leben der gerade Verstorbenen mitteilt, ist das Wort „Adieu“.
Metaphysik versus Schenkelklopfer
In Die Stühle finden sich Motive des existenzialistischen Basiskonfliktes menschlichen Aufbegehrens gegen die Endlichkeit des Seins, es zeigt die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber der Ignoranz der Masse, Groteske, wenn man den Leser als Personifizierung Gottes interpretiert. Es zeigt Liebe, Angst, Schmerz und Hohn und stellt niveauvolle Fragen in den Raum. Schade, dass sich in Peymans Inszenierung überhaupt nichts davon wiederfindet. Peyman macht aus den leeren Stühlen und dem Dialog mit dem Unsichtbaren eine seichte Komödie. Dies bedeutet einen ziemlichen Bruch mit der Berufsethik des Regisseurs: Muss er zwar in der Konzeptarbeit von den Ansprüchen seines Publikums ausgehen, sollte er sich doch als Ziel vor Augen behalten, mit seiner Inszenierung das geistige Niveau seines Publikums zu erhöhen und nicht zu schmälern. Ein Regisseur muss einem Stück Leben einhauchen — geistig lebt Die Stühle auf dem Papier mehr als auf der Bühne nach Peymans Inszenierung. Peyman negiert den philosophischen Inhalt von Die Stühle, anstatt ihn seinem Publikum zugänglicher zu machen. Er deintellektualisiert das Stück und verkauft den Text weit unter seinem Wert: als austauschbaren Rahmen für Comédie du Peyman. Trotzdem ist die Aufführung sehenswert.
Idee: Nicht Genügend; Umsetzung: Sehr gut*
Nachdem sich Peyman (für mich falsch) für den Stil der einfachen Komödie entschieden hat, wird sehr viel richtig getan. Allem zum Trotz sind die Gags gelungen und fließen sehr natürlich in die Handlung ein: Es gehört schon etwas dazu, mit einer „tragischen Farce“ Schenkelklopfen zu provozieren. Peyman gelingt es, das Publikum vor Lachen bis zur Atemnot zu erschöpfen. Dies liegt nicht zuletzt an der hervorragenden Leistung der Schauspieler, wobei ich Mavi Hörbigers Einsatz besonders loben möchte. Sie zeigt am Ende des Stücks mit einer sehr körperlichen Darstellung einen originellen Charakter, welcher sich trotz der Kürze seines Auftrittes fest in meine Erinnerung eingeprägt hat.
Empfehlung
Peymans Inszenierung von Die Stühle lässt jeden Freund der Boulevardkomödie auf seine Kosten kommen. Freunde des absurden Theaters werden sich darüber ärgern. Was man sieht, schneidet den philosophischen Tiefgang des Stückes nicht einmal an. Man sollte darin weniger Ionesco suchen als Peyman genießen. Vergleichbar mit einem Ausflug in den Prater, wo man auch nicht der Erkenntnis halber hingeht, sondern um sich zu zerstreuen. Und ebenso garantiert, wie es Peymans Inszenierung an Tiefsinn mangelt, unterhält sie und ruft einem in 90 kurzweiligen Minuten den Text eines der wahrscheinlich interessanten Stücke der letzten 100 Jahre in Erinnerung.