Sexualität und Gender in den phantastischen Graphic Novels ,,SuperMutant Magic Academy” und ,,Den 1: NeverWhere”. Ein Exposé.
Der US-amerikanische Comic-Künstler Richard Corben veröffentlichte das erste Kapitel von ,,Den‘‘ – nachdem der Charakter bereits in einem animierten Film erschienen war – in den dreizehn ersten Ausgaben eines Fantasy-Magazins namens ,,Heavy Metal‘‘. Die verworrene Geschichte handelt von einem irdischen, schwächlichen Jungen, den es über Nacht in eine phantastische Welt, Neverwhere, verschlägt. Zunächst ohne Erinnerungen und in einem hypermaskulinen, neuen Körper, erwacht er, um sich der ,,wilden‘‘ und ungewohnten Welt anzunähern. Diese wird hauptsächlich von humanoiden Biestmenschen – in bester Tolkien-Ork- und Lovecraft-Halbwesen-Tradition dargestellt – und üppigen Damen bevölkert. Alle Wesenheiten wollen Den entweder betrügen, erschlagen – oder mit ihm schlafen (und dann erschlagen). Nichts Geringeres als das Schicksal dieser Welt steht für Den auf dem Spiel, als er versucht, die Kontrolle über den Locnar zu erlangen und die bösartige Magierin daran zu hindern, ein Ungetüm existentiellen Horrors heraufzubeschwören.
Die von Corben entworfenen Darstellungen von Sexualität und Gender-Rollen sind auf den ersten Blick recht eindeutig: Der schmächtige Junge, der über Nacht eine Transformation zu einem muskulösen, gut bestückten Muskelmann durchmacht, die vollbusigen Frauen, die sich als ,, damsel in distress‘‘ nach einer Rettung in letzter Sekunde leicht bis überhaupt nicht bekleidet willentlich hingeben oder als Femme Fatale ihre Überlegenheit ob sexueller Gefallen kurzerhand hinten anstehen lassen (somit implizit trotz ihrer offenkundigen Überlegenheit und Übermächtigkeit als Magierin klischeehaft ,,weibliche Schwäche‘‘ zeigen, den männlichen Antagonisten passiert so etwas natürlich nie).
Eine ,,Männerfantasie‘‘ also, mit allem, was dazugehört. Doch ganz so eingleisig wie klassische Fantasie-Erzählungen, die weibliche Charakter allerhöchstens zu den Protagonisten unterstützenden Rollen degradieren (siehe etwa Arwen und Eowyn in ,,Der Herr der Ringe‘‘, Leia in ,,Star Wars‘‘ sowie Hermine in ,,Harry Potter‘‘, allesamt gegen einen männlichen Hauptwidersacher: Sauron, Darth Vader und Voldemort), kommt Corbens Bildgeschichte nicht daher. Die wenigen weiblichen Charaktere, die in der Fantasiewelt auftauchen, sind, abgesehen von der von ihm erretteten Kath, großteils als männermordende, barbusige Femme Fatales skizziert. Sexualität ist ausschließlich heteronormativ konnotiert, und wird als Belohnung, Waffe und Ware eingesetzt.
Längerfristige ,,Liebe‘‘ – ebenfalls heteronormativ – lässt sich ausschließlich zwischen dem Protagonisten und der erretteten Kath beobachten, die allerdings einzig auf gegenseitigem Verlangen aufbaut. Bereits nach einmaligem Liebesspiel ist Den dazu bereit ,,alles für sie zu ertragen‘‘. Das einzige andere Beispiel für ein Liebespaar lässt sich im erpressten Krieger Kang und seiner Frau sehen. Diese wird samt Kind als Faustpfand gefangen gehalten, um Kang zum Verrat an Den zu zwingen – einem Zwang, dem er nachgibt. Dennoch verliert er seine Familie kurz darauf.
Auch das vermittelte Körperbild lässt sich kritisieren: Auf männlicher Seite wird vom Protagonisten Den wiederholt betont, wie viel besser und schöner sein aufgepumpt-muskulöser Körper wirkt, weibliche Figuren werden ausschließlich mit einer rückenschmerzerregenden Oberweite dargestellt.
Das von der kanadischen Autorin Jillian Tamaki von 2010 bis 2014 bereits als Webcomic veröffentlichte ,,SuperMutant Magic Academy‘‘ stellt im Gegensatz zu ,,Den‘‘ weniger die fantastischen Elemente der Handlung in den Vordergrund. Zwar suggeriert der Titel bereits die Involviertheit von phantastischen Elementen – mit einem Verweis auf popkulturelle Kassenschlager wie die X-Men und Harry Potter – im Vordergrund steht allerdings die Charakterentwicklung der Protagonistinnen, die in einer für die Charakterausprägung besonders kritischen Zeit stecken, der Highschool.
Bildsprachlich anders als der ,,hyperrealistische‘‘ Zugang von Corben (der in seinem Comic eine Bildsprache verwendet, die auch in einem Action-Film angebracht wäre) verwendet Tamaki keinen einheitlichen Zeichenstil. Die Geschichte ist episodenhaft aufgebaut. Abgesehen vom Abschluss der Geschichte stellt jede Seite eine in sich abgeschlossene Episode oder Momentaufnahme dar. Tamaki bedient sich einer Vielzahl unterschiedlichen Stilen und Elementen der Bildsprache.
Die angesprochenen Fantasy-Elemente beschränken sich großteils auf ästhetische Mittel. Es gibt eine Lehrerin, Ms. Grimdorff, die als McGonagall-Double daherkommt, es wird mit Zauberstäben gehext, in den Pausen wird auf Besen herumgeflogen. Der sogenannte ,,Everlasting Boy‘‘ bringt weniger phantastische als eher existentialistische Züge in die Geschichte, er versucht wiederholt sich das Leben zu nehmen – in seinem Fall eher aufzuhören zu existieren – was ihm aber durch seine übernatürlichen Kräfte verwehrt bleibt. Wendy wachsen Fuchsohren aus dem Kopf, Trixie ist ein Reptilienmädchen, eine weitere Mitschülerin hat vollkommen katzische Züge. Der feline Neuzugang (der tatsächlich wie eine normale Katze aussieht) wird als gleichwertiger Schüler behandelt, obwohl er kein Wort von sich gibt. Einzig am Abschluss der Handlung strömen apokalyptische Prophezeiungen aus seinem Mund und er wächst auf ein Vielfaches an.
Besonders die Parallelen zu Harry Potter sind so offensichtlich, dass sie wohl beabsichtigt sind. Eine Sequenz zeigt gar Marsha, wie sie an einem Menschen mit schwarzem Wuschelhaar und kreisrunder Brille auf dem Besen vorbeifliegt. Die Stirn bleibt verdeckt. ,,Komischer Typ” denkt sie bei sich, weiter geht der Flug. Anders als in den Potter-Büchern treiben die magisch-fantastischen Elemente die Handlung aber nicht voran. Selbst die apokalyptische Katze am Ende wächst sich zu keiner handfesten Bedrohung aus.
Der tatsächliche Hauptkonflikt, der selbst auf der letzten Seite nicht endgültig aufgelöst wird, sind die verworrenen Gefühle der Protagonistin Marsha, die ihrer Mitschülerin Wendy endlich halbtrunken und übermüdet ihre Liebe gesteht, eine Gefühlsregung, die sich über die ganze Handlung spannt und als Selbstfindungsprozess die Charakterentwicklung von Marsha bestimmt. Ein zwischen Wach und Traum geflüstertes ,,Ich liebe dich, Wendy‘‘ wird von dieser mit ,,Ich liebe dich auch‘‘ – sich der Dimension dieser Aussage offensichtlich nicht bewusst – quittiert. Im nächsten Panel ist eine schlafende Wendy zu sehen, und es besteht Unklarheit über den weiteren Verlauf dieser Beziehung, da die Handlung an dieser Stelle abreißt. Doch nicht nur Marshas Sexualität sowie ihr Hadern mit dieser wird thematisiert, auch die vermittelten Rollenbilder von Marsha und Wendy laden zur näheren Betrachtung ein. Während Wendy versucht, ein aufrechtes, heterosexuelles Bild von ,,traditioneller Weiblichkeit‘‘ zu bieten, wird Marsha als klassischer bisexueller oder homosexueller ,,Tomboy‘‘ gezeichnet, mit kurzen Haaren und ohne Schmuck (und einer gewissen Ähnlichkeit zum Harry Potter-Look). Sexualität wird über Händchen-Halten oder Schmusen hinaus kaum thematisiert, doch auch Selbstbefriedigung und zumindest eine verbale (erfolglose) Aufforderung zum Geschlechtsverkehrt fließt in die Erzählung ein.
Was bleibt also? Den schlecht, SuperMutant Magic Adademy gut?
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Selbstverständlich müssen die Comics als Produkt ihrer Umwelt und Zeit betrachtet werden. Dem wesentlich früher erschienenen Den vorzuwerfen, aktuelle gesellschaftliche Tendenzen zu ignorieren, wäre zu kurzgegriffen. Doch nicht nur als ,,Museumsstück” seiner Zeit ist der Comic lesbar. Die Geschichte ist zwar durchaus etwas banal, aber nicht dümmlich, die von Pathos triefende Sprache Dens ist ein Erlebnis für sich, Corbens Zeichenstil ist einzigartig. Verträgt man ,,härtere” Comic-Kost, kann an dieser Stelle nur eine Empfehlung ausgesprochen werden.
SuperMutant Magic Academy hat gewissermaßen einen Heimvorteil, Thematiken wie Sexualität, LGBTQ+ und Selbstfindung, die aktuell gesellschaftlich bewegen und (glücklicherweise) immer mehr Steine ins Rollen bringen, werden äußerst gelungen von Tamaki aufgegriffen, und mit viel Charme und Witz – allerdings niemals auf die leichte Schulter genommen – behandelt. Wenige Graphic Novels reflektieren die oft turbulenten Realitäten und Schicksale der Teen- und Twenager so treffend wie Marshas Schulalltag. ,,Die Kids der SuperMutant Magic Academy wollen deine Freunde sein.” heißt es auf dem rückseitigen Buchdeckel. Ja, bitte, liebend gerne!